Rezension
Besim Xhelili
Unschuldige Augen...!
aus dem Albanischen von Kurt Gostentschnigg
BoD – Books on Demand, Norderstedt 2019
ISBN 978-3-748199-13-7
Das in dunkeltonigen Farben einer Gouache oder Tempera gehaltenen Coverbild ist sicherlich als direkte Einstimmung gedacht (und nach dem Lesen als auch stimmig erkannt): auf dem nahezu quadratischem Format liegt eine Art Blatt auf, das einen Frauenkörper als sitzenden Akt zeigt, zu dem, etwas in Hintergrund-Distanz, ein Beobachter gehört. Das Ganze wird indessen halb abstrakt in allgemeinen Formen gehalten: wodurch die im Ansatz der Beobachtung erreichte Nähe in eine eigentliche Distanzebene gerückt wird. Dem entsprechen die Vignetten im Inneren nicht so recht: Seitenzahlen in stilisiertem Herz mir begleitenden barockisierenden Ranken, zu denen sich als Ausnahme (vor dem ersten Kapitel) eine eher schlichte Zeichnung gesellt, wiederum bezugsreich als Gesicht mit tränenden Augen. Wie fast zu erwarten, enthalten die im Band vereinten - sehr zahlreichen - Gedichte Anrufungen einer Ich-Person an einen geliebten Menschen: gemäss den genannten Vorgaben demnach als Adressatin eine Frau, an die sich ein schreibender Poet wendet. In zwei ungleich langen Kapiteln – «Unschuldige Augen, die verletzen» (S.5 ff) mit meist kurzen Gedichten inklusive des titelgebenden Textes (S.7), sowie «Gedankenwogen» (S. 107 ff) mit meist längeren Stücken lyrischer Prosa – erweist sich dieser Mann als höchst sensitiv, als sensibel beobachtend und in seiner Ansprache als differenziert wertend.
Basis jeden Gedichts bildet jeweils ungeachtet des Umfangs die dezidierte, einfühlsame Beschreibung einer menschlichen, sehr persönlichen Lage: eine Wiedergabe, die in der Schilderung über sich hinausweist und weitere persönliche Horizonte zu gewinnen sucht. Diese Niederschrift erfolgt aufs Ganze gesehen in immer neuen inhaltlichen Anläufen, die ein Ausloten bedeuten: allerdings nicht als lineare Abfolge, sondern über Schritte nach vorn und zurück hinaus in einer Art Spirale mit ihren Drehungen: Verwandtes, wenn nicht Gleiches erscheint damit aus und mit verschiedenem Blick, der zwar kaum einmal mit einem unterschiedlichen Blickwinkel identisch ist, wohl aber stets Nuancierungen bereithält. Oder anders betrachtet: Es gibt keine eigentliche Entwicklung, die sich im «Außenraum» abspielt, denn die «Dinge» (Gedichte) bleiben in sich stehen. Andererseits gibt es (doch) kein In-sich-Ruhen, weil das vielfältig zum Ausdruck gebrachte Innenleben sich auf eine Fein-Abstimmung fokussiert. Entscheidend wirkt als Antrieb eine dreifache Haltung: die Vergangenheit beschwören, die Gegenwart aushalten, das Zukünftige erahnen. Der durch die Trias entstehende Spannungsbogen verbleibt - im einzelnen Poem wie über das ganze Werk gespannt - dadurch in einem begrenzten Rahmen, der sich in seiner Beschränkung für den Dichter umso umtreibender auswirkt. Wenn nicht gar umwälzender: indem die Anrufungen der Geliebten keine Antwort erhalten, die allenfalls vom Poeten sich vorgestellt wird. Weshalb fast ausnahmslos ein fragender Gestus herrscht in der tonangebenden Suche nach einer dortigen Reaktion, die letztlich gleich stark ist wie die Suche nach dem Kern des eigenen Selbst. Das fehlende Echo rückt den Moment des Dichtens in eine zeitlose Ebene: und nicht von ungefähr erscheinen die Hinweise auf die Bedeutung des Ehrenworts, auf das/auf ein Ende, ja auf die Ewigkeit.
Diese intensive Liebeslyrik wirkt in ihrer psychischen Subtilität schwermütig und melancholisch, evoziert nicht der Emotionen freudige Seite - die aber gleichwohl buchstäblich subkutan die Texte durchwirkt: pastose dunkeltonige Farben enthalten in einer lebendigen Aufbringung ja stets auch aufgehellte Nuancen, vermögen sogar dann und wann durchsichtig zu werden. Sie «beleuchten» damit verschiedene Wahrnehmungsintensitäten dessen, was gegeben ist, sei es in der Wahrnehmung einer unter der Oberfläche liegenden Dimension, sei es in der Vorstellung inskünftiger Folgerungen. Belegt wird dieser Eindruck vor allem in den breiter angelegten Ausführungen in Kapitel II, die rückblickend beim Lesen wie eingehendere Erklärungen des Vorausgehenden anmuten. Der hier nun gleichnamige Text «Gedankenwogen» (109) bietet bereits eine Art seelischer Auslegeordnung; die letzten vier Zeilen verweisen auf die Pfade eines müden Jahrhunderts, stellen fest Leiden habe Geschmack, evozieren Engel und Magie, im Weiteren verdeutlicht durch das Aufmerksam-Machen auf Geheimnisse jenseits der Vernunft (110), auf die Schwelle der Geduld (114) oder auf Tränen der Hoffnung (115). Besim Xhelili stammt aus dem albanischen Teil Mazedoniens. Nach Schulbesuch begann er ein
Geographiestudium, das er nach dem Wechsel mit seiner Familie nach Wien 1998 fortsetzte. Er
arbeitet im Öffentlichen Verkehr, offenbar keine Einschränkung einer dichten Publikationstätigkeit –
bislang 9 Gedichtbände sowie der erste eines auf drei Teile geplanten Romans – in seiner
Muttersprache und eines sehr aktiven Engagements in albanischen Kulturkreisen.
Diese biographische Notiz erscheint für die Besprechung notwendig als Voraussetzung, um, wie im
OeSV fast zwingend, die «Erscheinung» der Gedichte würdigen zu können. Zumal die Sprache, genauer:
das in die sprachliche Form Setzen, bei der beschriebenen mehrschichtigen inhaltlichen Ausgangslage
eine wesentliche Übermittlungsrolle besitzt und in der Lyrik neben dem rein Formalen - das nicht
streng wohl aber als nachvollziehbare Richtschnur gehandhabt wird - eine wahrhaft essenzielle Rolle.
So etwa entspricht, als ein wesentliches Stilmerkmal, der Rhythmus der Worte approximativ dem
Rhythmus der Gedanken. Kern der Gedanken sind dabei nicht eigentliche Denkübungen, sondern Kern
ist ein «Wortwerden» von Gefühlen. Gefühle wiederum wollen ihrerseits weniger Stimmungen
evozieren, sondern richten sich an körperlich-geistigen Reaktionen aus und machen an aufgerufenen
Imaginationen fest. Aber: indem Assoziationen nur bedingt sprachlich (vor)gegeben werden, wird der
Anteil des «Lesers» erheblich … im Albanischen mögen die Konnexionen offenbarer sein. Immerhin
spricht Xhelili Verbindungen zur Antike an, so die Feinde des Altertums (116/177) oder Sisyphos (119).
Daneben bleibt die ferne Geliebte als ein Topos bestehen, das eine oder andere Moment erinnerte
den Rezensenten durchaus an Dantes Beatrice (etwa 121).
Zwingend kommt für den Gesamteindruck ebenso wie für die einzelnen Stücke letztlich die
Übertragung in Spiel. Sie erscheint in diesem Fall sehr gelungen, indem sie den dreifachen
Schwierigkeitsgrad meistert als Leitfaden die Kenntnis des Autors, als steten Background die Kenntnis
seiner Sprache (die ja «Fremdkulturelles» in sich trägt) und als Motor das buchstäbliche Über-Setzen
in die eigensprachliche «Noten»: insbesondere nachvollziehbar am Sprachfluss, in den Reimen ebenso
wie in den freien Rhythmen, teilweise in bewusst «gesetzten Sätzen». Natürlich stellt sich die Frage,
inwieweit all dies dem Original entspricht. In diesem Fall überlässt man sich allerdings gerne der
«Führung» durch den Übersetzer im Nachvollzug in der - durch viele Detailaspekte ebenso wie durch
die großen Bögen genährten - Überzeugung, in diesem Fall wahrhaft Wesentliches in Inhalt, Form und
Stil mitzubekommen.
Beeindrucken schon die Gedichte Xhelilis in ihrer poetisch kontrollierten Intimität, so stellt zweifellos,
wenngleich als Arbeit im Hintergrund, das ihr offensichtlich gerecht werdende Transponieren
ihrerseits eine wesentliche Leistung dar. Der OeSV ist also nicht von ungefähr gerne offen für die
Mitgliedschaft von Übersetzerinnen und Übersetzern!
Martin Stankowski