Rezension
Martin Stankowski
Von Gestern
Essays zu Gedenktagen und kulturellen Fragen
Tredition Verlag Hamburg
ISBN 978-3-347-19317-8
Es ist immer wieder faszinierend festzustellen, wie verdiente Schriftsteller über andere Kollegen schreiben, speziell wenn es sich um solche handelt, die schon lange oder zumindest länger nicht mehr unter uns sind. Dabei stellt sich die grundsätzliche Frage, wie wird ausgewählt? Nach dem persönlichen Empfinden des Autors, oder gibt ihm jemand vor, „darüber“ zu schreiben? Jedenfalls die Auswahl von Gedenktagen und den dazugehörigen Essays könnte schon eine spannende Geschichte ergeben. Darüber schweigt aber der Autor in seinem vorliegenden Band mit „Beiträgen zu 25 Gedenktagen“. Für den Rezensenten etwas befremdend erscheint, dass Theodor Fontane mit vier Beiträgen, Gottfried Keller auch mit zwei gewürdigt wird, dagegen aber viele andere gar nicht aufscheinen. Wie gesagt, die Auswahl der zu würdigenden Personen wird immer fragwürdig, d. h. im Wortsinn der Rückfrage würdig, bleiben. Gut, soweit zur Einleitung. Doch, nein, ich kann den Autor noch nicht entlassen. Pearl S. Buck, Emily Dickinson, und einige andere haben bei Durchsicht der Aufgelisteten doch ein wenig Verwunderung ausgelöst. Interessant wäre zu erfahren, was den Autor bewogen hat als Literat zu beispielsweise zu Maximilian I oder J. J. Winckelmann Stellung zu beziehen. Wobei ich wieder bei der Frage der Auswahl bin. Doch bleibe ich kurz bei Winckelmann hängen. Dass die Aussage der „stillen Einfalt und edlen Größe“ so ohne Kommentar übernommen und weitergegeben wird, hat bei mir Befremden ausgelöst. Immerhin wissen wir ja aus den zahlreichen überkommen und erhaltenen Zeugnissen der „alten“ Griechen, dass diese ein Volk von Betrügern, Schändern, Vertragsbrechern und vieles mehr waren. Und sie machten ja nicht einmal ein Geheimnis aus ihren Schandtaten – sie breiteten diese in aller Öffentlichkeit aus, waren noch stolz darauf.
Das wäre ein wenig ein sachlicher Einwand gegen diese Beiträge. Zu bewundern ist die Sorgfalt mit der Stankowski diese aufbereitet hat. Wahrscheinlich der doch langen Fahrtzeit zwischen der Ostschweiz und Oberösterreich zu danken. Da kann man – wenn die WLAN-Verbindung in den Zügen der ÖBB funktioniert – tatsächlich in Ruhe arbeiten. Jedenfalls, die Genauigkeit der Recherche ist beeindruckend.
Es ist die Eigenart des Autors, sehr lange Sätze zu verwenden, da wäre „weniger sicher mehr gewesen“ und kann m. E. nicht als Schweizer Eigenart abgetan werden. Es ist oftmals anstrengend diese Sätze so nachzuverfolgen, dass die Sinnhaftigkeit gewahrt bleibt (Seite 180, Seite 254 aber auch sonst fast überall).
Was bleibt? Das Verwundern, dass beispielsweise ein Hermann Burger nicht vorkommt, obwohl Schweizer – wie der Autor – und ein Sprachkünstler sondergleichen. Auch fehlt mir jeder Hinweis auf die doch fulminante literarische Entwicklung in den 1960 - 1970er Jahren in Graz, mit Wolfgang Bauer, Alfred Kolleritsch, dem beginnenden Gerhard Roth und all den vielen anderen, die auf die Literatur der späteren Jahrgänge doch mehr Auswirkungen hatten als eine E. Bronte.
Ja, die Auswahl. Natürlich, an einem Robert Musil und einem Peter Rosegger kommt ein Schweizer Essayist auch nicht vorbei. Einen österreichischen Leser stört allerdings ein Begriff wie auf Seite 212, wenn davon die Rede ist, dass Rosegger seine SCHREIBE als deutsch verstand. Diesen Begriff, diesen Ausdruck, den hat Rosegger niemals verwendet.
Ergänzt wird der Band noch durch vier „Essays zur Kultur“. Das ist natürlich ein hoher Anspruch, den der Autor hier erhebt. Gleich als ersten Beitrag legt er ein Vortragsmanuskript vor, das sich mit nichts Geringerem als „Gelesen. Auf Deutsch. Über den Frieden.“ beschäftigt. Nun, dies in einem eineinhalbstündigen Vortrag abzuhandeln ist schon eine gewisse Herausforderung, wobei die (schriftlichen) Unterlagen dazu natürlich bei weitem nicht alles abdecken, was womöglich im gesprochenen Text vorhanden wäre. Diesem Thema, aber auch diesem Beitrag hätte eine redaktionelle Bearbeitung (Straffung) gutgetan.
Die ewige Frage „wann, wen küsst die Muse?“ wird umfangreich, gespickt mit Beispielen aus vielen Bereichen der Künste besprochen. Besonders freut sich der Rezensent darüber, dass in einer der Fußnoten sogar das heimische Reibeisen (Ausgabe 2014) angesprochen wurde: „ist Kunst auch Arbeit?“ No na, möchte man antworten. Wenn man daran denkt, wieviel Arbeit ein Autor erst hat, wenn das Manuskript „fertig“ ist! Wir alle wissen, was da an Arbeit erst auf uns zukommt.
Der abschließende Beitrag „Wenn selbst das Moderne bereits alt ist“ geht in unnachahmlicher Weise auf die Fragestellungen der professionellen Betrachter ein: Was ist “modern“ was ist postmodern“ (die architektonischen Leistungen der Post???). Die sich ständig beschleunigende Aufeinanderfolge, die Abfolge der wechselnden Nacheinander-Modernen (Seite 322) können belustigen, verärgern, sprachlos machen oder im besten Fall dazu verführen, auch das Allerneueste der Neuesten Bücher zu lesen. Und sich selbst ein Urteil bilden, und nicht den vorgekauten Rezensenten – Texten glauben (diesen eingeschlossen).
Rezensent: Hans Bäck