Rezension
Johannes Wally
Was dazwischen kommt
Keiper 2024, 252 Seiten
ISBN 978-3-903575-10-3
Es ist ein Mosaik, das der Autor Johannes Wally hier zusammenfügt. Ein Mosaik, das in seiner Gesamtheit ein dunkles Geheimnis birgt.
Jedes Leben sei erzählenswert, meint der Autor und so werden in seinem Roman auch dutzende Charaktere eingeführt, die in ihrer Masse auch einem Doderer-Buch hätten entstammen können. Haimo Wildner, ein Anästhesist ohne Ehrgeiz, auf seinem Gebiet zur Koryphäe zu werden, irrt, seit einem Schicksalsschlag während seiner Schulzeit, einem Steppenwolf gleich, durch das Leben. Eine gescheiterte Beziehung mit Laura, ein Sohn, Moritz, zu dem sich keine tiefere Beziehung aufbauen lässt und ein sexuelles Abenteuer mit einem jungen Malteser, der die Welt entdecken möchte, pflastern den Weg Wildners, über die letzten Jahrzehnte hinweg. Doch tief verborgen quälen Wildner Schuldgefühle und die Schuldfrage. Schon Karl Kraus merkte einst an: „Nichts hat sich geändert, höchstens, dass man es nicht sagen darf.“ Wildners soziale Umgebung ist nicht eingeweiht, weiß nichts vom dunklen Ereignis, das der Mediziner für sich behält, ein unaussprechliches Geheimnis daraus macht.
Johannes Wally bewegt sich auf den Spuren Akira Kurosawas Rashomon, folgt den Fragen rund um Schuld und Sühne, um das Verdrängen, um das Scheitern und um die Ehrlichkeit, zu sich und zu seinem Umfeld. In zehn, scheinbar losen Erzählungen, die sich jedoch am Ende als verbundene Kapitelabschnitte erweisen, folgen wir all denjenigen, die mit Karl Jesenký verwandt, befreundet oder bekann waren. Jesenký, 18-järhiger Schüler aus gutem Hause, jedoch an einer Herzschwäche leidend, stirbt 1983 während eines Tennismatches gegen Haimo Wildner auf der Maturareise im italienischen Lignano. Vorausgegangen sind der Verbindung zwischen Wildner und Jesenký jahrelange Hänseleien und Verspottungen. Wildner, der uneheliche und arme Spross, war ein gefundenes Fressen für den noblen Karl Jesenký.
Ist es also eine verborgene Absicht des guten Tennisspielers Wildner, seinen Schulkollegen, dessen körperliche Schwäche offenkundig ist, zu einer Partie zu überreden? Selbst Haimo Wildner kann diese Frage nicht beantworten – und es braucht lange, 25 Jahre, um sich des verdrängten Ereignisses von anno dazumal zu stellen. Eng verwoben ist die Handlung bei Johannes Wally mit politischen Ereignissen, die sich in Österreich, neben dem erlebten Mikrokosmos der Protagonisten, abspielte. Sie bieten dem jeweiligen Geschehen einen Rahmen.
Der erste Kapitelabschnitt ereignet sich im Jahr 2008, der Tod des Kärntner Landeshauptmannes Jörg Haider fährt wie ein Blitz ins Kapitelgeschehen ein. Auch der zweite Kapitelabschnitt, im Jahr 2017 spielend, also fast eine Dekade später, inmitten der ersten Kanzlerschaft Sebastian Kurz’ also, führt die Personen, die scheinbar nur wenig bis nichts gemeinsam haben, an. Die Aussöhnung mit sich und mit der Vergangenheit gelingt Haimo Wildner im letzten Kapitelabschnitt, der im Jahre 2019 spielt, jenem Jahr, in dem innenpolitisch die Ibiza-Affäre zu einem politischen Erdbeben führte. „(…) Wie das Leben von ganz gewöhnlichen Männern und Frauen und Menschen auch durch politische Handlungen determiniert ist. (…)“, das meint Johannes Wally, verweist aber auch darauf, kein politisches Buch geschrieben zu haben.
Es ist bezeichnend, dass es am Ende Sophie, Karls Schwester ist, die beim Durchforsten von dessen Briefen auf einen stößt, den ihr Bruder während der Maturareise einst schrieb. Er müsse nun aufhören, schreibt Karli, die Handschrift nun merklich weniger sorgfältig. Er habe sich mit einem Schulfreund zu einem Tennismatch verabredet. Dem Freund schulde er dieses Match. Eine Art Abbitte. (…) (S. 238). Den Brief schrieb Karl Jesenký am Tag seines Todes. Das angekündigte Match ist jenes gegen Haimo Wildner und die Abbitte, die ist seinem Verhalten dem Schulkameraden gegenüber geschuldet. Zuletzt also fügt Johannes Wally die Schuld und die Vergebung zusammen. Haimo Wildner ist frei – gewährte seinem Kameraden die Abbitte mit der Tennispartie, ohne Wissen und ohne Schuld am weiteren, schicksalshaften Verlauf. Wally lässt die Biografien der Protagonisten, immer wieder, verborgen, kreuzen. Wildners Ex-Freundin, ist die Tochter Guidos, der wiederum die Langzeitaffäre von Sophie, Karls Schwester ist.
Ein Roman, der ausholt und doch auf kleinstem Raume bleibt. Eindrucksvoll geschrieben, in präziser Prosa.
Clemens Ottawa (2024)