Rezension
Heimito von Doderer
„WER SICH IN FAMILIE BEGIBT …“
Briefe an Astri und Hans v. Stummer. Herausgegeben von Claudia Girardi und Gerald Sommer.
Kral Verlag, Berndorf 2022, 320 Seiten
ISBN 978-3-99103-071-3
Ein Buch zwischen wissenschaftlichem Anspruch und unterhaltsamer Lektüre changierend, wohl von den Herausgebenden – tät Doderer jetzt rotieren oder schmunzeln ob der Genderei … – so intendiert, ist die Lektüre gleichermaßen eine Fortbildung für Germanistikstudenten*innen wie Lesevergnügen für Literaturaffine.
Claudia Girardi und Gerald Sommer haben für ihren Sonderband 7 der Schriftenreihe der Heimito von Doderer-Gesellschaft mit dem Kral Verlag den idealen Verlag gefunden, so wohlfeil – die Wortwahl müsste dem Doderer jetzt gefallen – ist das Buch gestaltet: Hardcover, reich bebildert mit den Briefen, um sich von Doderers Schrift ein umfassendes Bild machen zu können, mit Fotos, mit Post- und Ansichtskarten, mit kleinen Zeichnungen von Doderer, mit Lesebändchen, Kommentar und Namenregister.
Astri und Hans v. Stummer waren die Schwester und der Schwager von Heimito von Doderer. Es ist der Enkelin Astri Stummers zu verdanken, dass die Briefe, die in einem Kasten am Riegelhof, dem Landhaus der Familie im Raxgebiet, aufbewahrt worden waren, 2016 zur Edierung freigegeben wurden.
Zitate aus dem 44. Brief vom 1. Dezember 1948 mögen als Appetithappen dienen, um Leselust zu wecken:
„Mein süßer Uhu! Ich dank´ Dir innigst für das Schweinscarré, Zwiebeln und Petersil! … Ich bin deprimiert. C.H.Beck in München und die Luckermann keppeln sich um die „Strudelhofsiege“, … Ohne Einkommen kein Auskommen.- …“
Essen gehört zu den basalen Grundbedürfnissen, das Geld gehört da auch dazu, während die Kulturbedürfnisse wie Bildung, kreativer Ausdruck, Ästhetik erst danach kommen. Das zeigen Doderers Briefe an seine Schwester in vielfachen Variationen. Interessant sind auch die Kosenamen, die er seiner Schwester gibt, die vielen Austriazismen, die umgangssprachlichen Redewendungen, die der Schriftsteller im Privaten verwendet. Zeitgeschichtlich würde man sich mehr erwarten, aber da ist Doderer wenig „gesprächig“, wie die Korrespondenz aus 35 Jahren zwischen September 1931 und Juni 1966 zeigt. Und trotzdem sind die Briefe höchst historisch, führen mitten ins Österreichertum, ins Bildungsbürgertum adeligen Gepräges. Es geht also in den Briefen doch nicht nur um „das Xelchte“, um eine Füllfeder vom Weidler am Graben 26 in Wien (das Geschäft gibt es übrigens noch), ein „bei den Bauern herumgefressen“, sondern um österreichische Kulturgeschichte aus den Federn eines Dichters – Doderer benützte mehrere Füllfedern mit den Tintenfüllungen blau, schwarz, rot und grün. Wer Zeitgeschichte und Literatur aus der Familienperspektive eines bedeutenden Österreichischen Schriftstellers in Form einer Melange, aber ohne Zucker, um beim Kulinarischen wieder anzudocken, genießen will, soll sich das Buch besorgen.
Im 157. Brief an Hans v. Stummer vom 5. Jänner 1961 beschreibt Doderer übrigens die Sichtung eines UFOs, fügt sogar eine Skizze des unbekannten Flugobjektes hinzu. Das Buch bietet Amüsement und Bildung in Reinkultur.
Doris Kloimstein