Rezension
Elisabeth Schawerda
Winterquaderno 2021/22
Korrektur Verlag, Mattighofen 2022, 55 Seiten
ISBN 9-783950-512915
Literatur im allgemeinen und Lyrik im besondereren können - vielfach beschworen - Spiegel gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse, sowie Seismographen jeglichen Geschehens sein. Und derartige Befunde sind gerade in Zeiten unerwarteter und umfassend anwachsender Bedrohungen nötig und unabdingbar, auch wenn die literarische Darstellung eigener, individueller Gegebenheiten daneben ebenfalls Bedeutung hat.
Elisabeth Schawerda hat bisher in ihren zahlreichen, vorwiegend lyrischen Werken immer wieder solche Standpunkte eingenommen, ob in Andeutungen, metaphorisch oder direkt und rigoros.
Im voliegenden Lyrikband: Winterquaderno 2021/22 geschieht das auf besonders wirksame Weise. Die Autorin nimmt zunächst beobachtend Stellung zu den Schrecken der Gegenwart, zu jahrelanger Pandemie und zu anwachsenden Krisen, die alle Bereiche der Gesellschaft und des Lebensraumes erfassen und schließlich zu einem unerwartet hereinbrechenden Krieg mit unabsehbarer, weitläufiger Wirkung.
Mit der Sprache als Werkzeug für jegliche Gestaltung der zwischenmenschlichen Kommunikation geht Elisabeth Schawerda überaus sorgsam um. Ihre Worte verbinden sich zu massiven, düsteren Bildern, die verschieden dicht, Nahes und Entferntes umfassen. Und gerade in den Zwischenräumen, den Andeutungen und dem Unausgesprochenen entstehen Berührung und Ergriffenheit ebenso wie Distanz aus der Erkenntnis, in keiner Weise eingreifen zu können.
Dem Status quo, der aus dem Erinnern wächst (vgl. S.7)
folgt beklemmend:
Die Welt hält sich kaum in den Angeln,
an denen der Rost frisst…(S. 8).
Mit diesen Zeilen beginnt eine Reihe von 44 relativ kurzen Gedichten, die bezogen sind auf eine Zeit berstender und zerstörerischer Veränderungen, also dem Winter 2021/22.
…Wir haben die Seuchen, wir haben die Kriege,
Ertrinkende und Erfrierende, / Verhungernde und Tausende die vergeblich / fliehen.
Wozu noch Waffenlager samt Tonnen von / Munition? (S.11)
Für die Axt der Barbarei / lassen sich Worte nicht finden (S.41).
Die Dämonen sind wieder da,/ streuen hilflose Angst übers Herz,/
stoßen ihr Messer in glückliche Zeiten / die Vergangenheit sind (S. 45).
Betroffenheit und Einfühlung, Angst und Verzweiflung prägen wie feste Bausteine
Elisabeth Schawerdas Darstellung und doch sind dazwischen Intervalle, ist Platz für Ungesagtes, sind Denkräume für vielleicht rettendes Innehalten.
Das einsame Denken - / verzehrt es sich nicht wie die Kerze? (S.10)
Am Rande der Bruchlinien solcher Zeitenwenden, versinkt jede Wahrnehmung in eine finstere, bedrohliche Umklammerung von Vergangenem und Kommendem.
Ein schwerer Stein / fiel tief ins Erinnern.
Wühlte den Grund auf,/ in dem die alten Ängste hausen.
Und die Asche von damals,/ die alles verdunkelt,/ ist noch nicht kalt (S.38).
…Wo ist die Zisterne in der /sich spärliche Tropfen der Zuversicht sammeln?(S.15)
Und dennoch, der Reigen der Bilder wendet sich.
Wenn sich langsam der Horizont erhellt,
…und das Schreckliche sich / mit Lächerlichem vermischt,/
grausam und unpersönlich, / werden wir dann an Frühling denken,/
…Und werden ungeübt sein / im Hoffen (S. 20).
Ein Schritt zwischen Schrecken und Hoffnung.
Ein Schritt von Hoffnung zu Hoffnung./ Unter dem dröhnenden Herzschlag/
das Flüstern der Freude (S. 46).
Nach der Lektüre dieser Gedichte möge in den Lesenden neben Beklemmung und Bedrücktheit allmählich doch auch vage Hoffnung aufkommen.
Sidonia Gall
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Und wieder legt Elisabeth Schawerda in der Reihe ‚lenguas de tierra‘ einen Gedichtband vor – ‚Winterquaderno 2021/22‘. Eigentlich möchte man ihn nur stumm genießen, staunen, sich überwältigen lassen von den kühnen Sprachgebilden, die Elisabeth Schawerda vor einem aufbaut. Und wenn schon darüber geschrieben werden soll, dann müsste dieses Schreiben selbst Poesie sein. Soweit, so unerfüllbar. Ja, in diesem Winter 2021/22 gab es zu viel an Winter; seine Kälte ist in und zwischen den Zeilen zu spüren:
Die Kälte dieses Winters
hat nichts mit Frost zu tun
Dicht an dicht stehen die Worte, quasi kondensiert:
Salzige Worte, verkrustend, müde Sätze.
Zwei Zeilen können eine ganze Geschichte sein:
Faust zum Gruß
Ein glaubhaftes Zeichen der Zeit.
Und es gibt Zeilen, die stehen für sich, die brauchen gar kein Gedicht rundum:
Die Welt hält sich kaum in den Angeln,
Dieses ‚Winterheft‘ – ‚Winterquaderno‘ – steht für ein Viertel eines Jahres, für eine Zeit, die zu erinnern sein wird, intensiv und immer wieder, ganz besonders mit den Gedichten von Elisabeth Schawerda. Doch müsste zum Ende eines solchen Winters nicht auch ein Hauch von Frühling, ein Hauch an Hoffnung zu spüren sein? Und ja, die Natur lässt sich nicht aufhalten.
Und das Grau hat Risse.
Die Ungeduld der Natur
drängt in den längeren Tag.
Der von Elisabeth Schawerda vorgelegte Gedichtband ist eine starke Leseempfehlung, zu allen Jahreszeiten.
Claudia Taller