Rezension
Klaus Ebner
Wortspieler, Samuel Becketts Suche nach der verlorenen Sprache
Essay
Books on Demand, Norderstedt 2020, 78 Seiten
ISBN 978-3-751936705
Es ist ein Charakteristikum des Essays, dass er ein Thema, einen Sachverhalt aus einem persönlichen Gesichtspunkt beleuchtet. Darin liegt, durchaus positiv, eine inhaltliche Einschränkung. Im vorliegenden schmalen Band sind die Lebensumstände Samuel Becketts teils ausgeklammert, teils mehr oder minder indirekt erfasst, weil auf die Behandlung des Autors mit der Sprache reduziert. Wobei es sich, wie Ebner ausführlich darlegt, im Kern um zwei Sprachen handelt. Beckett schrieb phasenweise primär Englisch oder Französisch - darin seine berühmtesten Werke - (und wusste sich in Briefen sogar passabel auf Deutsch auszudrücken). Selbst dieses, wie man es verstehen könnte, Entweder-oder ist falsch: Zwar mischt Beckett dann und wann die Idiome, aber grundsätzlich kalkulierte er stets und ganz unmittelbar folgend die Übersetzung in die (jeweils) andere Sprache mit ein in einer sehr konzentrierten Form, sei es durch den engen Kontakt mit den Partnern, sei es, sogar häufig und mit der Zeit zunehmend, durch eine eigene Arbeit.
Vor diesem Hintergrund behandelt Ebner zwei Aspekte: die komplexe Situation der Mehrsprachigkeit und den Akt der Transponierung. Somit erfahren wir weniger über den jahrzehntelangen Schreibprozess des Autors, dagegen viel über die unmittelbare Arbeit mit dem Formulieren, genauer: Wir erhalten einen intensiven Einblick in Becketts Schreibwerkstatt: wie er formuliert. Die stete Koexistenz zweier Idiome führt zu einer Unruhe, ja Unsicherheit, und Ebner legt den Finger darauf, wie sehr Beckett „einfach“ immer weitermachte, nicht kapitulierte, sich (unmodern anmutend) bewusst alle Zeit ließ und den Weg fand, letztlich aus der Sprache seine Inspiration zu ziehen. Das hebt auch ohne sprachforscherisches Unterfangen den hohen Respekt vor der Sprache nicht auf, macht sie nicht zum Destillat, weil sie den persönlichen Weg in den Mittelpunkt stellt: So etwa entschwindet immer stärker das „Fremd“ und macht einem Sinn für das Ganze des jeweiligen Sich-Ausdrückens Platz. Es liegt in dieser Intensität der Auseinandersetzung, die Beckett zu einem höchst individuellen Mittelsmann macht, denn Mehrsprachigkeit ist, das lässt Ebner allerdings nur kurz aufblitzen, geschichtlich ein altes Phänomen. (Ich könnte hier auf die Rolle des Lateins verweisen, auf das Französische in Wissenschaft und Adelskreisen, und, weil zum Lächeln anregend, Karls V. berühmtes Bonmot, bei dem dann das Deutsch fürs Pferd bleibt.) Das Übertragen von dem einen ins andere ist bekanntlich ein komplexer Prozess. Ebner vermag ihn regelrecht zu durchleuchten. Das Nachvollziehen ist nicht einfach, wird aber möglich, indem Ebner immer wieder den Standpunkt Becketts selbst einnimmt, konkret: wie sich seine Übersetzungsarbeit differenzieren lässt und, auch, entwickelt bis dahin, dass sich die beiden Texte nicht mehr vollständig entsprechen, wohlgemerkt, ohne an Qualität einzubüßen. Die Folgerung erscheint konsequent: Ich plädiere dafür, Beckets selbstübersetzerischen Leistung endlich einen
ebenbürtigen Platz neben seiner literarischen einzuräumen (52).
Zwar steht, wie gesagt, der Schreibprozess nicht im Vordergrund, aber Ebner weiß diskursiv über den Band verteilt in einem dritten Fokus Becketts grundsätzliche und/oder kreative Art des Umgangs mit Sprache herauszuarbeiten. In der ersten Schaffensphase dominiert, nicht zuletzt unter dem Einfluss des Freundes James Joyce, der Wortwitz, ja die Werke sprudeln vor Lebendigkeit und sprachlicher Opulenz. Mit zunehmendem Argwohn gegenüber der zwischenmenschlichen Kommunikation (31) beginnt Beckett nach rund zwei Jahrzehnten die Kehrtwende: Er reduzierte und komprimierte seine Texte so lange, bis lediglich ihre Essenz übrig blieb (33). Diese Entwicklung geht zielgerichtet weiter: in den Theaterstücken und insbesondere den Texten für Hörspiel und Fernsehen schreitet die Reduktion voran: Räumliches, Bildhaftes, Geräusche (Musik) und namentlich die Pausen beherrschen die Szenen. Darin liegt, das ist für Ebner essenziell, kein Nachlassen, sondern eine neue Art der Intensität über den gewohnten Rahmen hinaus.
Gesamthaft ein dichtes, über den „Fall“ Becketts spannend-anregungsreiches, unbedingt lohnendes Leseereignis. Dabei ist die relative Kürze des Textes insofern speziell, als viele Hinweise zu den drei Thematiken über die Seiten verstreut sind, und es lohnt sich deshalb, das Heft mehrmals in die Hand zu nehmen, um der Dichte der von Ebner aufgezeigten Thematik voll gewahr zu werden und sich selber die grundsätzlichen Aspekte vor Augen zu halten, etwa mit den eigenen Erfahrungen. (Und so etwa würde ich meine Frage anschließen: In welcher Sprache träumte denn der Mann?)
Martin Stankowski