Rezension
Markus Grundtner
Der Fall der Fantasie
edition keiper 2024, 259 Seiten
ISBN 978-3-903575-22-6
In seinem Romanerstling „Die Dringlichkeit der Dinge“ ist dem Autor und Juristen Markus Grundtner mit einer originellen Liebesgeschichte eine durchaus amüsante Verbindung zwischen Romantik und Recht gelungen. Diesmal dreht Grundtner die Perspektive ins Surreale und legt den Fokus auf eine ewige Gretchenfrage: Recht und/oder Gerechtigkeit. „Der Fall der Fantasie“ – Allein der Romantitel ist schon doppelbödig zu verstehen. Und auch der Protagonist Anatol Altmann, Strafverteidiger und Rollenspieler, verliert in einem wahrlich kafkaesk anmutenden Setting den Boden der Realität unter den Füßen.
„Vor Gericht – und auch im Leben – sah Altmann alt aus“, scheitert er doch an seinem Bestreben, durch „schöpferische Instrumentalisierung wahnwitziger Vorschriften“ zu einer gerechten Welt beizutragen. All jenen, die sich genau darum bemühen, ist das Buch auch explizit gewidmet. Denn, so Altmann, nicht das Ausmaß der Schuld bestimme in der täglichen Praxis der Gerichte die Schwere der Urteile, sondern die finanziellen Möglichkeiten der Angeklagten: „Wer sich einen Anwalt leisten kann, war immer im Vorteil.“ Eine Ungerechtigkeit, befindet Altmann.
Eines Tages wird er wider Willen in eine albtraumhafte Situation hineingezogen und zum Mitglied eines Gremiums des Höchsten Gerichtshofs (HGH) berufen. Diesem gehören als Vorsitzende die mysteriöse Neeti, weiters die aparte Nyaya und der exaltierte Dichter E.T.A. Hoffmann an. Der HGH hat – mit novellierter Verfahrensordnung und geänderter Zielsetzung – die Nachfolge des altägyptischen Totengerichts angetreten, bei dem erstmals die Waage als Symbol der Gerechtigkeit fungierte. „Wagen wir die Waage“ ist auch ein Leitspruch beim HGH, hinter dem ein geheimnisvoller Fonds steht.
Altmann bewegt sich nun in einer Art Matrix-Welt, in der sich wie in einem wirren Fiebertraum alles fortwährend verwandelt. Es wird verhandelt, rollengespielt, philosophiert, es kommt zu scheinbar absurden Dialogen und Auseinandersetzungen, in denen es allerdings wie in einem Kaleidoskop immer um das Hauptthema geht: Gerechtigkeit herzustellen. Schließlich muss Altmann erkennen, dass er – ähnlich wie im Film „The Truman Show“ – einer Scheinrealität erlegen ist und durch manipulierte Wirklichkeit und Einnahme von Psychedelika in seiner Wahrnehmung getäuscht wurde – anscheinend aus therapeutischen Gründen. Zum finalen Showdown muss sich Altmann in eigener Sache einer Gerichtsverhandlung stellen, deren Ausgang hier nicht verraten werden soll.
Die zahlreichen komplexen juristischen Gedankengänge stellen für Nichtjuristen eine nicht unbeträchtliche Herausforderung dar, doch lohnt es durchaus, sich darauf einzulassen. Ein Leseabenteuer bringt es allemal. Immerhin ist der Gap zwischen Recht und Gerechtigkeit nicht nur eine juristische Gretchenfrage, sondern betrifft jede und jeden selbst im – womöglich vermeintlichen – Alltag.
Ewald Baringer (2025)