Rezension
Eva Kittelmann
Die Quadratur des Denkens
Vermutungen – Lyrische Sequenzen
Verlagshaus Hernals, Wien, 153 Seiten, ISBN 978-3-902975-82-9
„… wir können das Denken gar nicht mehr verlernen, ihm stündlich ausgesetzt & ausgeliefert. Wir sitzen mitten drin. Kann sein, dass fern ein Endpunkt der Gedanken, unendlicher Gedankenreihen, jetzt nah erscheint (oder auch nicht). Denken ist Licht, ist Einsicht und Bemessen …“
Mit diesem Kurzausschnitt aus dem Text „Denken“ ist der Pfad gelegt, dem die Autorin im vorliegenden Band folgt. Und jeder Gegenstand des Sinnens wird in ihren Texten analytisch durchdacht, bedacht, geformt und umgeformt wie es schon die Denker der Antike pflegten – aber nicht oft in einer sprachlich so verführerisch-rhythmischen, in einer so bildhaft-dichten Prosa, deren Auskosten dem Leser / der Leserin allein schon Belohnung wäre.
Und kaum eine Facette menschlicher Existenz findet sich in diesen lyrischen Prosatexten nicht, keine Befindlichkeit unseres Umfelds, die nicht durch die gestaltverleihende Kraft der Autorin Leben gewinnt, zu einem kleinen Diorama auswächst, philosophisch und psychologisch hinterfragt. Die Schönheit und die mit ihr (zwanghaft?) verzahnte Abgründigkeit des Menschen und seiner (teils bestechenden, teils monströsen) Welt ist ihr eine unerschöpfliche Vorgabe, und nicht zuletzt auch das Phänomen der Künste, wobei Eva Kittelmann mit ihrer immensen Kenntnis der Geistes- und Kulturgeschichte zu beglückenden Gedanken-Verknüpfungen findet, welche die Texte zu einem Exerzierfeld ungewöhnlicher Assoziationen machen. Dabei fallen in der lockeren Fülle der Reflexionen ewigkeitstrotzende Findlingsgesteine an wie: „Wir schauten nach und fanden nur den Abklatsch ungelebten Lebens.“ Als auch: „Das Leben ist nicht immer gut. Doch wird unter wehenden Bäumen auch dieses erinnert: was wir erfahren geht nicht verloren. Schließlich hängt alles mit allem zusammen mit den geheimen Myzellen, verborgenen Quellen, daraus sich der Schöpfer immer aufs Neue bedient“. Oder: “Heftiger Wunsch den Sinn aus den Dingen so zu erzwingen, dass Farben und Formen Herkunft & Werden & Wandlung von innen belegen, denn es kann sein, dass in den Dingen Entfaltungen wohnen innerer Stimmen …“
Zum Abschluss noch die beschwörenden Worte Eva Kittelmanns (aus „Vermutung“): „Es ist gewagt und doch, ich sage, das letzte Gute, Wahre, Schöne, die Kalokagatia der alten Griechen, die letzte Weisheit, wenn man will, besteht darin, die Stunden anzunehmen, wie sie kommen – sie zu vertiefen. Das Los ist vorgezeichnet, und wenn du tust, was nötig ist, wenn du es tragen willst, dann tust du recht“.
Rezensent: Gottfried Pixner