Rezension
Hans Raimund
Neigungen
Porträt des Autors als Leser
Löcker, Wien 2019, 296 S.
ISBN 978-3-85409-983-3
Zuneigungen, Abneigungen, Verneigungen – so heißt der Untertitel und ist kritisches Programm des nun erschienenen Werkes Hans Raimunds. Er gilt als hervorragender Lyriker, Buchautor, Übersetzer etc. und weist eine ganze Reihe von inländischen und italienischen Würdigungen und Preisen vor. Er war berufsmäßig 13 Jahre in Duino/Triest schreibend und übersetzend, Lehrer an einer internationalen Schule, jedoch nicht als Grenzgänger, sondern sich freudig auf den Ort einlassend und veröffentlichte dort 6 seiner ca. 30 Bücher.
Zuletzt begeisterte mich seine Auswahl an Gedichten seines bisherigen Schaffens: „Auf einem Teppich aus Luft“ aus der Edition Lex Liszt. Genauso scharf-, fein- und tiefsinnig wie seine Lyrik sendet er nun fundamentierte kritische, ungeschminkte Betrachtungen über sein Leben und das anderer Autoren in die literarische Welt.
Er ist sich der Privatheit seiner literarischen Betrachtungen bewusst, legt jedoch stets Beweismittel seiner radikalen Kritik vor. Er untersucht Botschaften und Denkansätze, lässt Programmatisches oder Schlüsselsätze nicht aus, denn er will nicht ein vollständiges sondern ein facettenreiches Bild eines Autors oder seines Werkes vermitteln. Es geht ihm um das Ver- oder Nichtverständnis des österreichischen Literaturbetriebes seit 1980, der misslichen Vergabensweise von Literaturpreisen, der Einschätzung oder harschen Kritik des Werkes eines Autors wie um subtile oder faszinierende Eigenheiten von Texten oder Persönlichkeiten (z. b. Adalbert Stifters), um Kausalität, Kennzeichen, Ästhetisches (z.B. schreckliche Wiederholungen), Verständlichkeit, Abgedroschenheit, germanistische Klüngel und und und …
Welche Autoren/Autorinnen er auswählt unterliegt durchaus auch einmal nicht nur seinen Ab- oder Zuneigungen, sondern auch wie bei z.B. Gunnar Ekelöf dem Zufall. Bei der Beschäftigung mit W. H. Auden stieß er auf dessen Übersetzungen sowie auf Übersetzungen durch Nelly Sachs. Gunnar Ekelöf hat er liebgewonnen, fühlt sich ihm verbunden und verwandt, denn er sieht und genießt Parallelen zu seiner Person als „poeta doctus“, als Außenseiter. Raimund lässt uns miterleben, dass es im Werke Ekelöf “Gedanken, Sätze, Formulierungen, Texte gab, die ich einfach gern geschrieben hätte oder die auch schon von mir gemachten Aussagen entsprachen oder die, zu meiner Überraschung oder auch Genugtuung, auf mich und mein Leben und Schreiben zutrafen …“.
Raimund bezieht sich immer wieder vergleichend auf seine eigene Persönlichkeit, z.B. auf seine Jugend, als das Lesen von Wild-West-Romanen oder Abenteuer-Romanen eine Möglichkeit war dem bedrückenden Alltag im Wien der Nachkriegszeit Interessantes abzugewinnen. Er sieht sich beim Altern zu, fragt, ob sich sein Horizont verengt hat, da er immer öfter Bücher liest, „die er schon einmal mit Vergnügen, Gewinn und Respekt gelesen hat.“ Er liest anspruchsvolle Bücher, „die außer einem WAS, das reizt, auch ein reizvolles WIE haben.“ (S. 63) Er sieht das Lesen nicht als intellektuelle Pflicht „sondern als gesuchte und herbeigewünschte Erfahrung einer Faszination, einer Be- und Verzauberung, die, intellektuell zu definieren, unmöglich, ja auch völlig unnötig ist.“
Nicht der Canon an Büchern des Bildungsbürgertums wie Homer, Vergil, Cervantes, Ulysses bis Musil usw. ist für ihn lesbar, auch nicht die aktuellen Erzählungen und Romane (denn über die Wirklichkeit, die er mit eigenen Augen sieht und erlebt und über Standard-Themen zu lesen ist ihm eher Zeitvergeudung) sondern momentan sind es eher Bücher aus einer anderen Zeit, aus anderen geografischen Bereichen … Bücher, die Gegenwelten aufbauen, zu der, in der er existieren muss.
Raimund liebt Bücher mit sprachlichem statt flachem Niveau, mit Knappheit und sprachlicher Präzision statt gerade schicken Schnoddrigkeiten. Sein Augenmerk gilt E.T.A. Hoffmann sowie Johann Peter Hebels Kalendergeschichten.
Außer über Ekelöf und Hebel findet der Leser Ansichten über Klaus Sandler, Alois Vogel, Hermann Hakel, Getrud Zelger-Alten, Stifter, J. Peter Hebel, Trakl und Wildgans. Anregungen zu Erich Fried, Doris Mühringer, Bruno Weinhals, Umberto Ecco – um nur einige zu nennen.
Herrlich Kritisches über Liebesgedichte (Z.B. zu Texten von Norbert Silberbauer: .. „ein plattes Ausweiden der Idiomatik der Alltagssprache“ … zu Friedrich Hahn und Aumaier: …“schwimmend in der schon sauren Gertrude-Stein-Soße, gewürzt mit milden Prisen aus dem schon schimmelnden Arno Schmidt-Eintopf“)!
Kapiteln enthalten Erregungen und Streitbares (Pointierte Entgegnungen/Briefe aus den Jahren 2001 und 2002 an das Amt d. Salzburger Landesregierung, an Kurt Neumann, Anna Mitgutsch, Karl Markus Gauss …), Nachrufe sowie persönliche, ungeschönte Berichte über Dichterfeste und Preisvergaben. Kurze Zeilen über seine Jugend in Petzelsdorf und im Alsergrund, der seine Heimat blieb, runden das persönliche Bild ab.
Raimunds Schreib- und Denkweise ist couragiert, stets aufs schärfste diagnostizierend, notorisch unangepasst und herrlich konfrontationsreich!
Spannendes aus der Gar- und Giftküche der Literatur dampft!
Rezensentin: Eva Riebler