Rezension
Ewald Baringer
Stunde der Wintervögel
Limbus Verlag 2025, 96 Seiten
ISBN 978-3-99039-273-7
Nach der Kinderstube der Fische von 2018 wendet sich Ewald Baringer wieder der Tierwelt zu, mit Stunde der Wintervögel. Mit anderen Worten: Vom Wasser in die Lüfte! Freilich ist es nicht so, dass die Gedichte vor lauter Tierchen wimmelten, und in diesem Sinne verstehe ich das erste Gedicht als eine Ankündigung diverser Luftsprünge: »einmal/ist kein mal/aber erstmal/ist einmal« (S. 7). Dieser Einstieg verrät, dass Leser*innen von diesem Buch eine Prise Humor erwarten können.
Ewald Baringer wurde 1955 in Wien geboren und lebt seit vielen Jahren in Klosterneuburg. Mehr als zwei Jahrzehnte lang war er an einer AHS Lehrer für Musikerziehung und Klavier. Er schreibt Lyrik und Prosa, ist Vorstandsmitglied des P.E.N. Österreich sowie des Österreichischen Schriftsteller/innenverbandes. Zuletzt erschienen Lyrik und der Roman Der Zaunprinz. Wie ein Motto, nicht nur für die Literatur, sondern auch für das Leben selbst, erscheint der poetische Dreizeiler »das unerfüllbare/fülle ich/mit unerfüllbarem« (S. 16); wodurch es sich am Ende ja zu Erfüllbarem wandelt.
Ein geradezu tierisches Vergnügen, obwohl ganz ohne Vögel, bereitet das folgende Gedicht, das einerseits vor Anspielungen strotzt und andererseits unbändiges Vergnügen verrät; es sei hier vollständig wiedergegeben:
kafkas hase
um drei uhr früh
stand der hase an meinem bett
ziemlicher brocken
ja bitte?
fragte ich
entschuldigung
ich bin franz kafkas hase
blödsinn
kenne nur kafkas käfer
dürers hasen
und den duracellhasen
und doch gibt es mich
für 1955 war ich geplant
da wurde nichts draus
jetzt liegt es an dir
schreib halt ein gedicht
kennst du eigentlich dürers käfer
ein hirschkäfer, derzeit in los angeles
der hase hoppelte unter mein bett
noch lange hörte ich ihn kichern
den rest der nacht verbrachte ich schlaflos
und mümmelte vor mich hin (S. 62)
Baringers Gedichte verwenden durchgehend Kleinschreibung, und Satzzeichen sucht man, bis auf wenige Ausnahmen, vergeblich. Die meisten Texte tragen einen Titel. Die Verse sind so gestaltet, dass sie sich trotz der Satzzeichen-Absenz wunderbar flüssig lesen lassen. Ich vermute, dass Baringers musikalischer Hintergrund seine Spuren in der Lyrik hinterlassen hat, denn die Gedichte weisen einen angenehmen Sprachrhythmus auf, enthalten eine Melodie, welche der Autor bei seinen Lesungen mit ruhiger, modulationsreicher Stimme gekonnt zur Geltung bringt.
Die Lyrik von Ewald Baringer ist stets ein Sprachgenuss. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Empfehlung aussprechen: Baringers Gedichte sollten nicht zu schnell gelesen werden, und es ist durchaus sinnvoll, sie mehrmals zu lesen, vielleicht sogar laut. So kommt ihre Sprachkunst am besten zur Wirkung, die bis zu einem gewissen Grad von den ungewöhnlichen Wörtern und Komposita lebt, welche darin vorkommen, aber auch von den ausgefallenen Bildern. In leben als therapie heißt es: »erster sein/beim nietenziehen/langsamer groschenfall/zwischen allen stühlen/ist ruh/warte nur/bald sitzest du auch« (S. 82). Unerhörte Wortspiele und Assoziationen würzen diesen im Grunde resignativen Gedankenfluss.
Im Klappentext ist die Rede von einem »Durcheinander zwischen Hetzen, sich Verzetteln und Trödeln, zwischen falschen Versprechen, Größenwahn und Resignation«. Das verweist auf die Verschiedenartigkeit der enthaltenen Gedichte. Neben betont humorvollen Texten stehen solche über Beziehungen, etwa falsch gelaufen: »als du sagtest/es sei schön gewesen/mich als menschen kennen zu lernen/da wusste das tier in mir/dass etwas falsch gelaufen war« (S. 81), und dann tauchen sehr ernste und schmerzvolle Gedanken auf, wie das Ende von botschaft, wo es heißt: »(…)/mir hat geträumt/vom fernen leuchten/vom regen/in den bergen/das spiel heißt stille post/sag’s weiter: es ist krieg/& du musst überleben« (S. 28).
Ewald Baringer versorgt uns mit einem »nasenbärspray gegen einsamkeit«, lässt die »schaumtänzer am kopilotensitz« träumen, sendet »abschiedsgrüße von bemoosten laptops«, plaudert über »grätzelfetischisten«, »rutenzücker«, »meisterdilettanten«, »schwedenbomber« und »sekundenschläfer«. All diese Begriffe entnahm ich mehreren Gedichten, und, so viel sei verraten, es gibt noch eine Menge mehr davon. Ach ja: Vögel traf ich nur selten; weder winters noch sommers. Aber das macht nichts, denn zumindest schräge Vögel gibt es zuhauf. Zu lesen und zu genießen in diesem überaus gelungenen Lyrikband.
Die Bücher aus der Lyrikreihe des Innsbrucker Limbus Verlages sind liebevoll gestaltet, mit festem Einband und Lesebändchen – sie verbinden hochkarätige Lyrik mit einem haptischen Erlebnis. Diese Reihe hat sich in den letzten Jahren zu einer Institution innerhalb der österreichischen Literatur entwickelt. Die Serie soll, auch (oder gerade) in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, weiterhin wachsen, und in diesem Sinne fasse ich auch das letzte Gedicht von Baringers Buch auf, das lediglich aus zwei Zeilen besteht, die bei mir unvermittelt für einen Lacher sorgten. Sie lauten nämlich: »unbedingt zu sagen/wäre noch folgendes« (S. 96). Und dann steht nichts mehr …
Klaus Ebner (2025)