Rezension
Regina Hilber
Super Songs Delight
Edition fabrik.transit 2022, 114 Seiten
ISBN 978-3-903267-32-9
Sing your Song
Der Ursprung der Lyrik liegt im Gesang; daher bedeutet das lateinische Wort »carmen« sowohl Gedicht als auch Lied. Regina Hilber nennt ihren Lyrikband Super Songs Delight, und das ist Programm. Die Lektüre der Gedichte gleicht einem melodiösen Fortschreiten, denn die freien Rhythmen zwingen uns geradezu ihren musikalischen Duktus auf; häufige Alliterationen unterstreichen diesen Eindruck.
Hank hob die Arme hoch
über den Kopf – oh holy
asphalt cowgirl –
nur Jojo heulte wie kleine
Kojotenkolonnen
mir nach (S. 73)
Ein weiteres Merkmal sind die häufigen fremdsprachigen Einschübe. Die 1970 im niederösterreichischen Hausleiten geborene Regina Hilber reist viel, verbrachte längere Aufenthalte in den USA, in Argentinien und Italien, und sie wurde zu mehreren Schreibaufenthalten (Stadtschreiberin) eingeladen. Diese Erfahrungen schlugen sich in der Lyrik nieder. Englisches, Französisches, Italienisches fügt sich nahtlos in den Text ein, führt die Rhythmik der Verse jeweils in einem kohärenten Guss fort, als handelte es sich um ein einziges Idiom. So etwa im folgenden Gedicht, dem zweiten Teil von »Fall Apart«:
fall aus Brücken Luftschlössern
Alice
fang das Brot koch
klassisch französisch
now Alice
got red beans à la bonne femme
la vie en rose rot rosa (S. 52)
Hier finden sich zudem für die Autorin typische intertextuelle Anspielungen. Diese und die zumal ungewöhnlichen Bild- und Gedankenkombinationen weisen auf eine gewisse Doppelbödigkeit hin, und Leser*innen sollten sich Zeit nehmen, um die Texte entsprechend auf sich wirken zu lassen.
Super Songs Delight enthält neun Gedichtzyklen, die jeweils einen Gesamttitel aufweisen, der mit einem Hinweis auf den gedanklichen Hintergrund versehen ist, welcher angenehmerweise als unaufdringliche Interpretationshilfe fungiert. So hat »Song of a Bridge« den Hinweis »In Erinnerung an Hart Crane«, jenen amerikanischen Dichter, der sich 1932 bei einer Schiffsfahrt im Golf von Mexiko das Leben nahm; und bei »Narrenschiff XO XO« heißt es: »Interview mit Schwester Bora im novemberlichen Triest«, womit der adriatische Fallwind gemeint ist. Die Zyklen können normalerweise auch geografisch zugeordnet werden; die Stationen sind die USA (etwa New York, Kalifornien und North Dakota), Italien (Triest), die österreichische Kleinstadt Steyr, wo Hilber Stadtschreiberin war, und die ehemals österreichische und heute ukrainische Kulturstadt Czernowitz.
Innerhalb der Zyklen gibt es keine weiteren Titel mehr, sondern die einzelnen Gedichte werden mit winzigen Kreisen nummeriert, die mich an die Kügelchen eines Abakus erinnern.
Analog zur geografischen Zuordnung erinnert Hilber an Autor*innen, die mit dem jeweiligen Ort in irgendeiner Weise in Verbindung stehen. So etwa Hart Crane mit New York oder Rose Ausländer, Paul Celan und Karl Emil Franzos (unter vielen) mit Czernowitz. Anspielungen an die Texte der Genannten flicht die Autorin in ihre Gedichte ein. Der erste Teil von »CzernowitzSONG« lautet:
dieser bukolische Landgewinn wenn
draußen die Buchen
das Rad ein Rädchen aber
lassen wir das was Czernowitz
da sagt:
dass ich mit Paul und Rose und
wenn ich meinen Fuß hier
reinsetzte der Zentralplatz eine
Bühne sein
müsse ein Mikrolith auf Augenhöhe eine
Pfeilspitze im Resonanzraum
immer wolle ich bloß eine Metapher sein
am eklektischen Baugrund und anderswo
wirft der Tagspruch mir vor (S. 85)
Anspielungen an die Corona-Pandemie setzen zum damit verbundenen und von-oben-verordneten gesellschaftlichen Stillstand eine Art Kontrapunkt mit der gefühlten (und real erlebten) Reisetätigkeit der Autorin. Die Sprünge zwischen Ländern und Kontinenten zeigen eine gewisse Ruhelosigkeit, die für mein Empfinden von der Rhythmik der Verse wieder aufgefangen wird.
Aktualität, Geschichtsbewusstsein und ein detailliertes literaturgeschichtliches Wissen reichen einander die Hand. Die Gedichte wirken dadurch überaus vielschichtig, und es mag sinnvoll sein, das eine oder andere auch mal nachzuschlagen; insbesondere, wenn Namen genannt werden, die einem womöglich gar nicht bekannt sind. So waren etwa Rolf Bossert und Selma Meerbaum-Eisinger rumäniendeutsche Autoren, der Triestiner Ettore Schmitz ist eigentlich als Italo Svevo bekannt, und Elsa von Freytag-Loringhoven war eine deutsche Dadaismus-Künstlerin.
Konstantin Kaiser steuerte ein aufschlussreiches Nachwort bei, das ich quasi als Einleitung empfehlen möchte, weil es den Zugang zu den mitunter hermetisch wirkenden Gedichten erleichtert. Er charakterisiert das Buch im ersten Satz folgendermaßen: »Es ist eine Sprachreise durch eine zerklüftete, verrätselte Welt der (Im)Ponderabilien.« (S. 108) Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.
Regina Hilbers Lyrikband erschien als Hardcover in der engagierten Wiener Edition fabrik.transit. Der Umschlag zeigt einen Fotoausschnitt des Ennssteges in Steyr, der ebenfalls von der Autorin stammt.
Klaus Ebner (2025)